Damit Wohnen kein Luxusgut wird - Pressereise von Lebensraum Ziegel
September 2019 (PRG) – Berlin wächst. Seit sechs Jahren um 50.ooo Einwohner pro Jahr, bis 2030 ist mit dem Zuzug von 250.000 Menschen zu rechnen.
Auf der Pressereise der Initiative Lebensraum Ziegel am 24. und 25. September stellen Architekten, Investoren und Bauherren aktuelle Bauvorhaben der Hauptstadt vor. Architektur- und Baufachjournalisten aus ganz Deutschland sind eingeladen, mit ihnen die Herausforderungen von Stadtentwicklung zu diskutieren. Beispielhaft demonstrieren neun Projekte von Wohnungsunternehmen und -genossenschaften, Bauträgern, Kommune und einer Stiftung das Herangehen an identitätsstiftenden Wohnungsbau und nachhaltige Stadtgestaltung.
In kaum einer Stadt in Deutschland lassen sich die Folgen fehlgeleiteter Bau- und Wohnungspolitik so drastisch besichtigen wie in Berlin. Wie unter einem Brennglas verdichten sich hier Konflikte und Probleme aus den Versäumnissen der letzten Jahrzehnte. Gentrifizierung, Stadtflucht in den Speckgürtel, wachsender Zuzug in die Hauptstadt oder Mietendeckel sind nur einige Stichworte, welche die Komplexität des Problems fehlenden bezahlbaren Wohnraums umreißen. In den vergangenen drei Jahren wurden bundesweit nur 73 Prozent der Wohnungen gebaut, die eigentlich nötig wären. Oft fehle es an freien Flächen, heißt es in einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft.
Im Stadtentwicklungsplan Wohnen 2025, Basis der Wohnungspolitik des Berliner Senats, heißt es: „Bis 2025 sollen Flächen für den Neubau von mindestens 137.000 Wohnungen bereitgestellt werden, um preistreibenden Knappheiten am Wohnungsmarkt entgegenzuwirken. Dabei muss das jährliche Flächenangebot einem Vielfachen der jährlichen Nachfrage entsprechen.“ Die Bündnisse für Wohnungsneubau der Berliner Bezirke mit dem Senat haben sich zur Aktivierung von Neubaupotenzialen und der zügigen Schaffung von Planungs- und Baurecht verpflichtet.
Zugleich fehlen bundesweit nach einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie rund 1,9 Millionen günstige Wohnungen in den 77 deutschen Großstädten. Am weitesten klafft die Schere in Berlin, Köln und Hamburg. Auch die Belastung durch Wohnkosten wächst. So müssen vier von zehn deutschen Großstadthaushalten, in denen insgesamt immerhin rund 8,6 Mio. Menschen leben, eine problematisch hohe Mietbelastung von mindestens 30 Prozent ihres Nettoeinkommens tragen.
Bei 6,50 Euro pro Quadratmeter liegt der Mietpreis für eine von 162 geförderten Wohnungen in der Lion-Feuchtwanger-Straße 21 in Berlin-Marzahn. Im Auftrag der GESOBAU AG entsteht hier ein Gebäudeensemble aus vier Häusern mit insgesamt 334 Wohnungen, im Frühjahr 2020 ist die Fertigstellung geplant. Im benachbarten Stadtbezirk Lichtenberg – im Fürstenberg-Kiez in Karlshorst – errichtete die Wohnungsbaugenossenschaft EVM Berlin eG in der Karl-Egon-Straße 17 ein generationengerechtes Wohngebäude mit vier Geschossen. Die 78 Wohnungen mit zwei bis fünf Zimmern sind 2016 bezogen worden. Eine multivalente Grundrissstruktur ermöglicht alternative Wohnformen, komplette Barrierefreiheit trägt der demografischen Entwicklung Rechnung, Räumlichkeiten für einen Bewohnertreff fördern soziales Miteinander. Die Tiefgarage bietet neben Stellplätzen für Autos und Fahrräder auch Ladestationen für Elektromobilität. Eine Wärmepumpe gewinnt so viel Energie aus dem Abwasser, dass auch benachbarte Bestandsgebäude versorgt werden können. Das innovative Konzept, für das die EVM mit dem „Genossenschaftspreis Wohnen 2015“ ausgezeichnet wurde, stellt Roman Lichtl vom Architektur- und Ingenieurbüro Lichtl vor.
Klare Formen, ökonomischer Materialeinsatz und soziale Verantwortung: Eckpfeiler der frühen Berliner Genossenschaftsprojekte, die den Städtebau des 20. Jahrhunderts nachhaltig prägten. Mit der Neubausiedlung Schwyzer Straße 1-1c knüpft die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft 1892 (BBWO 1892) an das von Bruno Taut entwickelte Konzept für seine in den 1920er-Jahren errichtete Schillerpark-Siedlung, heute UNESCO-Weltkulturerbe, an. Dem Vorbild Tauts folgt die monolithische Mauerwerkskonstruktion wie die Formensprache. Das Gebäude beherbergt 74 Wohnungen inklusive Gewerbeeinheit und Tiefgarage. Wohneinheiten zwischen 40 und 120 Quadratmetern bieten bezahlbaren und bedarfsgerechten Wohnraum. 31 Wohnungen sind barrierefrei. Konzept und architektonische Umsetzung des mit dem Deutschen Ziegelpreis geehrten Projekt erläutert Professor Piero Bruno von Bruno Fioretti Marquez.
Als eine von sechs Wohnsiedlungen der Berliner Moderne gehört die Gartenstadt Falkenberg ebenfalls zum UNESCO-Welterbe. Die von Anne Lampen Architekten entworfenen Neubauten am Akazienhof 4 knüpfen identitätsstiftend an die ebenfalls von Bruno Taut geplante „Tuschkastensiedlung“ an. Zwei der 18 Wohneinheiten wurden auf die Bedürfnisse von Wohngemeinschaften für Schlaganfallpatienten zugeschnitten und sind barrierefrei, inklusive Gemeinschaftsraum.
Wohnen am Wasser ist seit jeher beliebt und umworben. In der Hauptstadt entstehen derzeit viele Projekte auf Industriebrachen und Konversionsflächen an Spree- oder Havelufer. Auch die Umnutzung historischer Gebäude rückt in den Fokus von Investoren und Bauträgern. In der Parkstraße 13 im Stadtbezirk Spandau saniert die BUWOG Bauträger GmbH unter dem Namen Speicherballett zwei denkmalgeschützte Bestandsbauten, die nach Fertigstellung 82 Eigentumswohnungen beherbergen werden. Neben speziellem Wassermanagement und bedarfsgerecht geplanter Energieversorgung gehören eine quartiereigene Kita, Spielplätze und Tiefgaragen zum ganzheitlichen und bedarfsgerechten Konzept.
52° Nord ist ein weiteres anspruchsvolles Projekt des Bauträgers in der Regattastraße 10 bis 35 im zu Köpenick gehörenden Grünau. Auf dem 100.000 Quadratmeter großen Grundstück am Ufer der Dahme errichtet die BUWOG ein Quartier mit mehr als 800 Miet- und Eigentumswohnungen. 380 sind fertiggestellt, ein Drittel davon steht Mietern zur Verfügung. Gegen den Trend sind aktuell 70 Prozent der Bewohner Köpenicker. Durch den Bauabschnitt Regattahof mit drei Mehrfamilienhäusern aus Ziegel mit 77 Eigentumswohnungen führt Projektleiter Nicolo Unger und erläutert die Details der Quartierplanung mit Kita und autarker Energieversorgung durch ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk.
Mehr als 1.000 Menschen werden in der Havelmarina in Spandau ein neues und wertiges Zuhause finden. Zwischen Havel und Teufelsseekanal errichtet die HELMA Wohnungsbau GmbH – auf der revitalisierten Industriebrache des Kraftwerks Oberhavel mit der Gesamtfläche von fast 20.000 Quadratmetern – 96 Einfamilien-, 15 Reihenhäuser sowie 18 freistehende, mehrgeschossige Gebäude mit 90 Eigentumswohnungen.
Dass zum Wohnen mehr als das sprichwörtliche Dach über dem Kopf, sondern auch öffentliche, der Allgemeinheit zugängliche Gebäude gehören, demonstriert der dreigeschossige Neubau der Stadtbibliothek in Köpenick. Der Entwurf von Bruno Fioretti Marquez Architekten fügt sich in das denkmalgeschützte Ensemble eines ehemaligen Schulgebäudes ein und beherbergt den öffentlichen Teil der Bücherei. Äußerst prägnant zeichnet der massive Ziegelbau die Kontur des historischen Altmarktes nach – mit Bezügen auf die angrenzende Bebauung. Mit dem monolithischen Sichtmauerwerk – 64 cm dick – knüpft der Neubau unmittelbar an die Ziegel des alten Schulhauses an. Im Inneren finden neben der Stadtbibliothek Seminarräume und ein Lesecafé Platz. Piero Bruno, Bruno Fioretti Marquez Architekten, erläutert die Entwurfsidee und deren Umsetzung.
Das am Petriplatz in Berlins Mitte geplante House of One wird das erste Bet- und Lehrhaus dieser Art sein. Der Entwurf von Kuehn Malvezzi für das interreligiöse Gebäude spiegelt anhand unterschiedlich geformter Kuben, die durch das einheitliche Material Ziegel ineinander übergehen, dass hier sowohl Judaismus, Islam als auch das Christentum eine gemeinsame Heimstatt teilen. Die Mittel zur Finanzierung des architektonisch anspruchsvollen und kühnen Projekts sollen über Crowdfunding eingeworben werden. Geplanter Baubeginn ist 2020.